Erst Corona, dann der Krieg in der Ukraine: Die Krisen werfen viele Menschen aus der Bahn. Die «elbe» bietet ihnen Raum, zurück zu sich und in die Verantwortung zu finden. Und gerät derweil in ihrem Jubiläumsjahr ob der grossen Nachfrage selbst an den Anschlag.
Jedes Jahr steigende Zahlen, inzwischen doppelt so viele Beratungs- und Therapiestunden wie vor fünf Jahren: «Das ist eine gute Nachricht», sagt Paola Ganyi. «Die Leute kennen und vertrauen uns offenbar.» Das «Aber» folgt auf dem Fuss: Ganyi (56), seit zwei Jahren Stellenleiterin der «elbe», hält auch fest: Die grosse Nachfrage fordert das Team, die Warteliste ist 25 Dossiers gross, die Wartezeit beträgt bis zwei Monate. Bereits 2022 konnte die «elbe» aber in der Beratung um eine halbe Stelle auf 255 Stellenprozente ausbauen und Ganyi ihr Leitungspensum von 35 auf 50 Prozent aufstocken. Die 2021 bezogenen neuen Räume an der Hertensteinstrasse 28 in Luzern sind endlich gross genug. In ihrem 50. Jahr ist die «elbe» gut aufgestellt.
Kein Boden mehr unter den Füssen
Psychotherapeutin Jenny Graf (36), eines der fünf Teammitglieder, erstaunt die grosse Nachfrage nicht. «Corona hat vielerorts Spannungen verstärkt, mit dem Ukrainekrieg geht die Krise nahtlos weiter.» In den Alltag übersetzt heisst das zum Beispiel: Im Home Office können sich Paare nicht mehr ausweichen und prallen Haltungen aufeinander, der Krieg zieht Menschen den Boden unter den Füssen weg. Angst lähmt. Beziehung, Arbeit, Gesundheit, Kontrollverlust: «Zu uns kommen viele Klientinnen und Klienten, die es regelrecht schüttelt», sagt Ganyi. Bei der «elbe» verdichtet sich das Leben gerade sehr.
«Spannend» sei ihre Arbeit auch in solchen Zeiten, finden sie und Graf übereinstimmend. Die Menschen kämen schliesslich zur «elbe», weil sie Hoffnung auf Veränderung hätten. «Wir bieten ihnen Raum zur Auseinandersetzung», erklärt Ganyi. Graf bringt das Beispiel dazu: «Bei einem zerstrittenen Paar fliegen zuhause die Fetzen. Bei uns erfährt und lernt es, wie Kommunikation ohne Verletzung möglich ist. Der Perspektivenwechsel entlastet.» Aus der Dynamik ausbrechen, die Situation erkennen, in die Eigenverantwortung kommen: Was einfach klingt, muss freilich auch immer wieder hart erarbeitet werden. «Da werden auch mal Türen geschletzt», sagt Graf.
Angebote für Schule und Ausbildung
Die Tage sind vielfältig in den «elbe»-Räumen, das Angebot der Fachstelle ist breit. Eine 16-jährige, ungewollt Schwangere sucht hier ebenso Hilfe wie ein ü70-Paar, das nach langen Ehejahren an den Anschlag kommt. Die Mitarbeitenden sind mit Angeboten in der Gesundheitsförderung, Prävention und Sexualpädagogik auch unterwegs an Schulen und Ausbildungsorten wie etwa der Pädagogischen Hochschule.
Dank Kirchenbeiträgen offen für alle
Die Beratung ist der grösste Bereich der «elbe». Wichtig ist hier: Die Tarife sind einkommensabhängig. Das machen vor allem die Kirchen möglich, die 1973 die Stelle mitgegründet hatten. «Die staatlichen Gelder würden dafür nicht genügen», sagt Paola Ganyi. Dass auch Menschen mit wenig Geld Hilfe erhielten, sei nicht zuletzt «eine Frage der Chancengleichheit».
Dominik Thali
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