Aufgaben teilen, die Demokratie stärken

10.11.2020

Vor 50 Jahren wurden die katholische und reformierte Landeskirche gegründet. Was das gebracht hat? Aufgaben, die alle betreffen, werden seither kantonal erfüllt. Und der Staat hat in den Kirchen Ansprechpartner erhalten, die mit ihm gesellschaftliche Verantwortung teilen.

Seelsorge für Menschen mit einer Behinderung, der Finanzausgleich unter den Kirchgemeinden, Aus- und Weiterbildung von Katechetinnen und Katecheten, Notfallseelsorge oder die eigenen Parlamente: Die Liste dessen, was die Gründung der Landeskirchen vor 50 Jahren möglich machte, ist noch viel länger. Für Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern, ist die Aufgabenteilung herausragend: «Die Landeskirchen ermöglichen, dass die kantonale Ebene professionell ausführt, was auch dorthin gehört. Regionale Zweckverbände wären ja nicht sinnvoll.»

Präsenz markieren in der Gesellschaft

Der reformierte Synodalrat und Historiker Florian Fischer weist auf die zweite grosse Errungenschaft hin, den «Ausbau der demokratischen Mitbestimmung». Einerseits brachten diesen die Synoden, die beiden Kirchenparlamente, selbst mit, anderseits war das Stimm- und Wahlrecht für Frauen bereits für die damaligen Verfassungsräte selbstverständlich, die damit den Weg für das Frauenstimmrecht im Kanton Luzern ebneten. Auch Ausländerinnen und Ausländer sind bei beiden Kirchen stimmberechtigt, auf katholischer Seite seit 1994. Der 2016 verstorbene Alois Häfliger (Willisau), Präsident der katholischen Synode 1990/91, fasste die Bedeutung der Landeskirchen in seinem «Geschichtlichen Überblick» zum 25-Jahre-Jubiläum 1995 in einem Satz zusammen: «Kantonal- und Landeskirchen erweitern und festigen die Selbständigkeit der Konfessionen und stärken die Präsenz der Kirchen in der Gesellschaft.»

Wo die Mitsprache Grenzen hat

Während auf reformierter Seite die Landeskirche innerkirchliche Belange selbständig regeln kann, ist dies bei den Katholiken Aufgabe Roms und des Bistums. Dieses duale System führt vor allem dann zum Konflikt, wenn sich staatskirchenrechtliche Vertreterinnen und Vertreter zu kirchenpolitischen Fragen äussern. Die «Luzerner Erklärung» der Synode von 2003 und das «Luzerner Manifest» von 2006 sind Beispiele dafür. «Da stossen Beteiligung und Mitbestimmung an Grenzen», räumt Markus Ries ein. Die demokratisch gewählten Räte sind für ihn gleichwohl auch kirchenpolitisch wichtig: «Sie können sicherstellen, dass der Dialog im Gang bleibt und Rechenschaft eingefordert wird.» Und «natürlich auch», indem sie Gleichberechtigung und Mitsprache vorlebten.


Eine andere Errungenschaft ist für beide Landeskirchen wichtig: Mit deren Gründung hat der Staat Ansprechpartner erhalten, die für den ganzen Kanton stehen. Er teilt sich mit ihnen sogar Aufgaben, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig sind. Die Gassenarbeit in Luzern oder die Ehe-, Lebens- und Schwangerschaftsberatung sind Beispiele dafür. Die Landeskirchen wiederum – zu diesen zählt auch die kleine Christkatholische Kirchgemeinde – pflegen eine intensive ökumenische Zusammenarbeit.

Dominik Thali

Kirchengeschichtler Markus Ries vor dem heutigen Gemeindehaus von Ettiswil, wo die Landeskirche bis 1996 ihren Sitz hatte. | © 2020 Dominik Thali
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Das grosse Haus Kirche hat viele Zimmer, ganz unterschiedliche Bewohnerinnen und Bewohner und strotz vor buntem Leben. | © 2020 Cartoon Jonas Brühwiler | © Jonas Brühwiler

In vier Schritten zu den Landeskirchen

Die katholische wie die reformierte Landeskirche im Kanton Luzern nahmen vor 50 Jahren ihre Tätigkeit auf. Vier Schritte führten dazu. 1958 hiess das Luzerner Stimmvolk eine Verfassungsrevision gut, die es den Stimmberechtigen einer Konfession erlaubte, eine eigene Kirchenverfassung zu erarbeiten. 1964 verabschiedete der Grosse Rat (heute Kantonsrat) das Ausführungsgesetz dazu. 1966 nahmen beide Konfessionen Volksinitiativen zur Bildung einer Landeskirche an, worauf die Regierung die Wahl von Verfassungsräten anordnete. 1969 wurden die Verfassungen an der Urne genehmigt. Am 22. Januar 1970 trat die reformierte Synode erstmals zusammen, am 13. März 1970 die katholische.