Fledermäuse: die stillen Kirchgängerinnen im Dachstock

31.08.2021

«Kirche kommt an» gilt mitunter auch in der Tierwelt: Weil es in Häusern immer weniger Estriche gibt, die nicht isoliert sind, werden Dachstöcke von Kirchen für Fledermäuse noch wichtiger. Die Wallfahrtskirche Hergiswald in Kriens etwa dient zwei Arten im Sommer als Wochenstube.

Der Aufgang zu Turm und Dachstock der Kirche Hergiswald ist nichts für Menschen, die an Klaustrophobie leiden. Oben auf dem mit Holzbrettern belegten Plateau angelangt, leuchtet Manuel Lingg mit einer Rotlicht-Taschenlampe ins Gebälk. Das stört die Fledermäuse nicht. «Sie haben keine Rezeptoren für Rotlicht», flüstert Lingg. Der 39-Jährige ist Biologe und ungefähr in einem 20-Prozent-Pensum Fledermausschutz-Beauftragter des Kantons Luzern.

Ein paar Tiere sind zu erspähen, wie bei Fledermäusen üblich in hängender Position. Sie haben zwar Füsse, können aber nicht darauf stehen. Das Hängen erfordert für sie keine Kraftanstrengung, die Fusskrallen rasten sich durch ihr Gewicht quasi im Holz ein. Sie schlafen ruhig, um nachts gerüstet zu sein für die Jagd auf Insekten, ihrem praktisch einzigen Nahrungsmittel.

Die Kirche Hergiswald dient einer Kolonie von ein paar Dutzend Brauner Langohren als sogenannte Wochenstube. Von Anfang/Mitte Juni bis zirka Ende August finden sich Weibchen ein, die hier ihr Junges gebären, säugen und aufziehen, bis es nach ein paar Wochen selber fliegen kann. Männchen sind nicht dabei, sie gehen andere Wege, ehe man sich im Spätherbst wieder irgendwo in einer Höhe mit den Weibchen trifft und der Fortpflanzungsakt von Neuem beginnt. Dabei geht es recht wild durcheinander. Fledermäuse sind nicht treu, sie paaren sich wiederholt mit verschiedenen Partnern. Weibchen können als Besonderheit den Samen speichern und nach dem monatelangem Winterschlaf im Frühling die eigentliche Befruchtung selber steuern.

Viel Verständnis in den Kirchen

Während die im Mittelmeerraum von den Fledermäusen bevorzugten Höhlen bei uns zu wenig warm wären, bieten solche Dachstöcke dank der Sonnenwärme geeignete Bedingungen für Wochenstuben. Zudem ist das Versteck sicher, vor allem vor Katzen, die an Fledermäusen gerne ihren Jagdtrieb ausleben. Und was ist mit dem Kirchengeläut? Das stört Fledermäuse anscheinend nicht, selbst wenn die Glocke in unmittelbarer Nähe ist. «Kirchen sind aber nicht nur für Wochenstuben wichtig, sondern je länger je mehr für Fledermäuse allgemein», sagt Manuel Lingg. Der Grund: Anders als früher werden viele Häuser meist bis unters Dach ausgebaut. Sogenannte Kalt-Estriche, die nicht isoliert sind und trotz ihres Namens im Sommer deutlich wärmer werden, werden immer seltener.

In Kirchen jedoch bleiben die Dachstöcke meist unangetastet. Lingg: «Es ist ein Glücksfall, dass das Einvernehmen mit ihnen sehr gut ist, mit unseren Anliegen für den Schutz der Fledermäuse stossen wir auf viel Verständnis und Rücksichtnahme.» Wenn zum Beispiel eine Dachrenovation ansteht, werden Arbeiten nicht im Sommer während der Anwesenheit der Tiere ausgeführt. Oder ein Gerüst wird so aufgebaut, dass die Fledermäuse trotzdem Zugang haben. Vermieden wird auch, dass bei nachts beleuchteten Kirchen die Scheinwerfer direkt ins Einflugloch strahlen. Das würde die Tiere massiv irritieren.

In der Kirche Hergiswald hat das Einflugloch die Form ein grosses Kreuzes, das in der Mauer ausgespart ist. Ein symbolträchtiges Bild – wobei das offene Kreuz nicht unbedingt nötig wäre. Die etwa fünf Zentimeter langen und ein paar Gramm schweren Braunen Langohren würden den Weg hinein und wieder hinaus auch über einen etwas locker sitzenden Ziegel finden. Aber bei einer Flügelspannweite von 25 bis 27 Zentimetern schätzen sie womöglich eine breite Öffnung. Dort lassen sie sich auch leichter zählen – ein Amt, die der lokale Fledermausschützer Hans Gysin ein paar Mal jährlich ausübt. Etwa 60 Tiere registriert er im Maximum.

In der Kirche Hergiswald hat das Einflugloch die Form eines grossen Kreuzes, das in der Mauer ausgespart ist. | © 2021 Roberto Conciatori

In St. Ottilien versammeln sich bis zu 600 Tiere

Die Braunen Langohren sind eine von über einem Dutzend Fledermaus-Arten, die im Kanton Luzern heimisch sind (gesamtschweizerisch gibt es rund 30 Arten, weltweit über 1000). Mit grossem Abstand am häufigsten bei uns sind Zwergfledermäuse. Neben den Brauen Langohren bilden auch die Grossen Mausohren Wochenstuben in Dachstöcken. Die meisten anderen Arten bevorzugen Spalten an den Aussenseite von Gebäuden oder natürliche Verstecke an Bäumen. Bekannt als Wohnstube für Grosse Mausohren ist die Wallfahrtskapelle St. Ottilien in Buttisholz, wo jeweils bis zu 600 Tiere beisammen sind. Die Mausohren sind eine Art, deren Bestand tendenziell zugenommen hat in den letzten Jahren, aber «Fledermäuse stehen allgemein stark unter Druck, vor allem, weil es zunehmend weniger Insekten gibt», sagt Manuel Lingg.

Für Fledermäuse gibt es im Kanton Luzern sogar eine Pflegestation. Monika Lachat aus Kriens und Giselle Knüsel-Buchs aus Ruswil kümmern sich ehrenamtlich um verletzte, geschwächte oder noch flugunfähige Tiere und päppeln sie liebevoll auf. Bei unserem Besuch in der Kirche Hergiswald brachte Manuel Lingg aus der Station ein Braunes Langohr mit. Es war auf Hergiswald bei Untersuchungen des Holzes leicht verletzt und in die Pflegestation gebracht worden. «Tiere werden möglichst immer dorthin zurück gebracht, wo sie gefunden worden sind.»

Vorsicht ist immer angebracht

Beim Aussetzen trägt Lingg Handschuhe. Fledermäuse können beissen und zum Beispiel Tollwut übertragen. Theoretisch. In der Praxis hat das der Fledermausschutz-Beauftragte aber noch nie erlebt. «Trotzdem sei für Leute, die viel mit Fledermäusen zu tun haben, immer etwas Vorsicht angebracht und neben Handschuhen auch eine Tollwut-Impfung Pflicht.

Dass sich nicht wenige Leute vor Fledermäusen mit ihrem etwas «vampirhaften» Aussehen ängstigen, kann Manuel Lingg halbwegs nachvollziehen. Diese Ängste würde aber zumeist auf Schauermärchen beruhen. Nicht auszurotten sei unter anderem die Behauptung, Fledermäuse würden gerne in die Haare eines Menschen fliegen. Manuel Lingg bekommt das oft zu hören, kennt aber keinen einzigen konkreten Fall. Linggs Überzeugung: «Wenn man Fledermäuse in Ruhe lässt, sind sie für Menschen völlig ungefährlich.»

Hans Graber

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Stille Kirchgängerin: Eine Fledermaus im Dachgebälk der Kirche Hergiswald. | © 2021 Roberto Conciatori

Kirchen als Fledermäuse-Wochenstuben

Unter anderem in diesen Luzerner Kirchen zogen in den vergangenen Jahren Fledermaus-Weibchen in Gesellschaften (Wochenstuben) ihr Jungtier hoch:

  • Braune Langohren: Buttisholz, Doppleschwand, Eich, Ettiswil, Hasle, Hitzkirch, Kriens (Hergiswald), Marbach, Rain, Richenthal (Guthirt-Kapelle), Roggliswil (Wendelin-Kapelle), Rothenburg (Bertiswil), Rüediswil (Kapelle), Ruswil, Stettenbach (Kapelle St. Antonius), Sursee (Kapelle Mariazell), Ufhusen, Werthenstein (Klosterkirche), Willisau (Heiligblutkapelle), Winikon, Wolhusen, Zell
  • Grosse Mausohren: Buttisholz (Wallfahrtskapelle St. Ottilien), Grossdietwil, Malters, St. Urban (Klosterkirche).

Ob wirklich noch in allen diesen Kirchen Wochenstuben anzutreffen sind, wurde im zu Ende gehenden Sommer vom kantonalen Fledermausschutz überprüft.

  • Meldungen von Fledermaus-Nachweisen in Dachstöcken sind beim Fledermausschutz Luzern  willkommen: www.fledermaus.info