Seelsorge im Hospiz Zentralschweiz: «Religion soll verbinden»

30.10.2020

«Vertrauen entsteht mehr im Alltag als in heiligen Handlungen», sagt Karin Klemm. Sie ist katholische Seelsorgerin im Hospiz Zentralschweiz, wo schwerkranke Menschen ihre letzte Lebensphase verbringen.

Littau Zentrum. Kein Schild weist zum Hospiz Zentralschweiz. Erst neben der Eingangstür ist der Name zu lesen. «Das Hospiz ist fast wie ein Daheim. Zu meiner Wohnung weist ja auch kein Schild», erklärt Karin Klemm und lacht herzlich.
Tatsächlich befindet sich das Hospiz, im Januar in Littau eröffnet, in einem Haus, in dem sich zuvor eine Wohnung mit Arztpraxis befand. Die Einrichtung erinnert daran: Da ist die Stube mit Sofa, Bibliothek und Cheminée, eine offene Küche mit einer Theke und Barhockern, eine Kinderspielecke und ein grosser Esstisch. Hier können Patient*innen, Pflegende, Seelsorgerinnen, Freiwillige und Angehörige täglich gemeinsam zu Mittag essen, wenn sie möchten. «Wir teilen Brot und Leben an diesem Tisch, pflegen jesuanische Gastfreundschaft, auch ohne religiöse Worte.»

Würdig verabschieden

Die Tür, durch die die Besucherin hereinkam, lässt sich nur von innen öffnen. «Immer öffnet ein Mensch diese Tür», erklärt Klemm die Willkommenskultur im Haus. Wenn ein/e Patient/in gestorben sei, stehe die Belegschaft des Hauses an dieser Tür Spalier, wenn der Sarg hinausgetragen werde. «Wir wollen unsere Patientinnen würdig verabschieden.» Die 56-Jährige ist die erste festangestellte Hospiz-Seelsorgerin (60 Prozent) in der Schweiz. Ihre Kollegin Marie-Therese Habermacher hat zudem ein 30-Prozent-Pensum in Spiritual Care. «Zu meiner Kompetenz gehört der Umgang mit biblischen und religiösen Texten, die Reflexion von Religiösem und die Gestaltung von Ritualen», sagt Klemm. Manche Patientinnen würden lieber mit einer theologisch gebildeten, andere lieber mit einer psychotherapeutisch gebildeten Seelsorgerin reden.

Vertrauen schaffen

Wie sehr aber sind spezifisch religiöse Kompetenzen hier gefragt? «Ich gehe innerhalb der ersten drei Tage zu jeder neuen Patientin und jedem neuen Patienten und sage: ‹Sie leben jetzt hier bei uns, deshalb möchte ich Sie kennen lernen.›» Mehr nicht, denn nicht wenige hätten Vorbehalte oder schlechte Erfahrungen mit Religion. Dann gehe es darum, miteinander ein Stück Alltag zu leben: Gemeinsam zu Mittag zu essen, ein Gespräch zusammen mit den Angehörigen, von Karin Klemm moderiert.

Seelsorgerin Karin Klemm mit Hospiz-Katze Jimini, | © 2020 Sylvia Stam

«Vertrauen entsteht mehr im Alltag als in heiligen Handlungen.» Wenn dieses erst einmal da sei, könne es auch zu Gesprächen über explizit religiöse Themen kommen. «Von mir aus spreche ich solche Themen jedoch nie an.» Auf Wunsch betet sie mit den Patient*innen oder für sie, manche wünschten die Kommunion, die Krankensalbung eher selten.

Klemm erlebt immer wieder, wie wichtig der Beziehungsaspekt auch bei solchen Sakramenten ist. «Wenn bei der Kommunion noch eine vertraute Person, zum Beispiel der Schwager, dabei ist, dann leuchten die Augen mancher Patientin mehr als sonst.» Klemm ist denn auch überzeugt: «Es gibt keine religiöse Bindung ausserhalb von Beziehungen.» Religion fasst sie dabei sehr weit: «Religion soll verbinden, deshalb suche ich die Schnittmenge der Gemeinsamkeiten, auf deren Boden wir Stille suchen und feiern können.» Jesu Gastfreundschaft und Menschenfreundlichkeit seien dabei Richtschnur. «Viele Pflegende sind nicht im kirchlichen Sinne praktizierend, aber wir feiern gemeinsam. Das ist eher postchristlich, aber zutiefst jesuanisch.»

Feste im Kirchenjahr

Gefeiert wird jede Woche eine Wochenabschlussfeier im Raum der Stille. Alle zwei Monate gibt es für die Mitarbeitenden – verpflichtend – eine Gedenkfeier für die in dieser Zeit Verstorbenen. «Hier ist es wichtig, dass wir als Seelsorgende nachspüren: Wer trägt noch etwas mit sich herum?»

Manche Angehörige wünschten ein Abschiedsritual, «dann bieten wir eine kleine Feier im Innenhof an». Auch das Kirchenjahr soll Platz haben: «Der Karfreitag gehört in jede Gesundheitsinstitution», findet Klemm. Sie gestaltet ein Karfreitagsgebet mit einem hölzernen Kreuz. In der Osternacht wurde ein Osterfeuer entzündet und ein Halleluja gesungen, dazu geistliche Gedichte vorgelesen. Auch Advent, Weihnachten und Pfingsten werden Ausdruck finden.
Weiter verzichtet das Hospiz bewusst auf religiöse Symbole im Haus. Denn «Religion soll einladen, aber sie darf nicht ausgrenzen». Für Rituale – «je einfacher, desto besser» – eigneten sich auch Tonscherben oder Blumen. Auch den Raum der Stille schmückt einzig eine riesige leere Holzschale, darum herum schwarze Meditationskisse. Karin Klemm hebt die Schale gegen das Licht. Da zeigt sich, dass das Holz an einer Stelle fast durchsichtig ist. «Schönheit im Versehrt-Sein», sagt Klemm.

Sylvia Stam

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«Vertrauen entsteht mehr im Alltag als in heiligen Handlungen»: Karin Klemm, Seelsorgerin im Hospiz Zentralschweiz, | © 2020 Sylvia Stam

Kirchen bezahlen Seelsorge im Hospiz

Das Hospiz Zentralschweiz verfügt über 12 stationäre Betten und 8 Tagesplätze für schwerkranke Menschen in der letzten Lebensphase. Innerhalb eines Jahres weilen hier rund 120 Patient*innen zwischen 36 und 90 Jahren. Manche sterben nach einer Nacht, andere bleiben fünf Monate. Die Landeskirchen der Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden, Uri und Zug sowie die Christkatholische Kirchgemeinde Luzern finanzieren die Seelsorge-Stelle (60 Prozent) vorerst für drei Jahre mit insgesamt 100’000 Franken pro Jahr, zuzüglich eines Startbeitrags von 22’000 Franken. Der Anteil der römisch-katholischen Landeskirche Luzern beträgt 50’000 Franken jährlich. Die 30-Prozent-Stelle in Spiritual Care finanzieren die katholische und die reformierte Landeskirche Zug.